Time Islands / Inselzeiten
Nelson-Mandela-School/Schule, Berlin-Wilmersdorf
(2011)
Environment, commissioned by the City of Berlin (facade, entrance, courtyard)

> Text von Dr. Heinz Stahlhut, Sammlungsleiter Bildende Kunst, Berlinische Galerie (PDF 60 kb)

 

lay-out

Nelson Mandela School Facade Stih & Schnock

Time Islands Inselzeiten Stih & Schnock (24 Weltzeitzonen)


Inselzeiten 2 Inselzeiten 3

Linden benches in the courtyard of the Nelson Mandela School Nelson-Mandela-Schule_Tree-Islands

Renata Stih & Frieder Schnock:
Insel Zeiten / Island Times, 2011

Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen Raum sind keine Erfindung des 20. oder 21. Jahrhunderts. Man denke nur an die zahlreichen Denkmäler in Berlin wie Andreas Schlüters Reiterdenkmal des Grossen Kurfürsten oder Christian Daniel Rauchs Reiterdenkmal Friedrichs des Grossen.
Aber wie schon die Aufzählung andeutet, haben erst die demokratischen Gesellschaften des 19. und 20. Jahrhunderts Formen des Gedenkens und Belehrens entwickelt, die nicht den „grossen Menschen“ und die „Sternstunden der Menschheit“ ins Zentrum stellen; vielmehr dient hier die künstlerische „Zutat“ zu Architektur und Platzgestaltung der ständigen Hinterfragung und Auseinandersetzung mit der Verfasstheit der politischen Ordnung, ist Anstoss zur immerwährenden Verhandlung der gesellschaftlichen Verhältnisse.

Diese Form der künstlerischen Arbeit steht im Zentrum von Renata Stihs & Frieder Schnocks Schaffen; ob sie 1998 mit einer Kartoffelpflanzung vor der Staatsgalerie Stuttgart die Wertschätzung von Kunst in der Gesellschaft hinterfragten oder 1993 mit einer quartierweiten Installation im Bayrischen Viertel dauerhaft an eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte erinnerten – stets geht es um die Funktion von Kunst als Mittel von Erinnerung oder Aufklärung in der Öffentlichkeit.

Das Environment Wir brauchen keine Kunst, wir brauchen Kartoffeln von 1998 – die Anpflanzung verschiedener Kartoffelsorten in zwei Gold gerahmten Rabatten rechts und links des Reiterstandbildes des württembergischen Herrschers Wilhelms I. vor dem alten Portal der Staatsgalerie Stuttgart – mag auf den ersten Blick wie eine freundliche Verbindung pietistischer Bescheidung, aufklärerischen Nutzdenkens und Ästhetik erscheinen. In Wirklichkeit bezieht sie sich aber auf die Ablehnung des Kaufangebots der bedeutenden Sammlung altdeutscher Kunst der Gebrüder Boisserée durch den besagten Herrscher mit den eingangs zitierten Worten; die wertvollen mittelalterlichen Altäre und Gemälde der Dürer-Zeit wurden stattdessen vom Bayerischen Hof erworben und befinden sich heute in der Alten Pinakothek.
Das sich bewusst zurücknehmende Environment stellt unaufdringlich, aber unabweislich jedem Passanten und jeder Besucherin des Museums die Frage: „Was ist uns Kunst wert? Ist sie nur Luxusgut und damit in Zeiten der Krise durchaus verzichtbar oder ist sie so notwendig wie Essen und Trinken?“ – Fragen, die nicht nur Künstlerinnen und Künstlern beschäftigen (sollten).
In ihrem Schilder-Werk im Schöneberger Bayerischen Viertel bezogen sich Stih & Schnock 1992 auf die unzähligen Reglementierungen, denen jüdische Mitbürger unter der Nazi-Herrschaft unterworfen waren: Verbote, Busse und Strassenbahnen zu benutzen, sich in Grünanlagen und Parks oder Schwimmbädern zu bewegen, sich in Kinos oder Theatern zu vergnügen, sind nur einige der unvorstellbaren Schikanen, die von den Nazis erdacht (und von der Mehrheit der Deutschen klaglos hingenommen wurden).

Kunst im öffentlichen Raum kann schnell zum Streitobjekt werden; von den Einen als offiziell verordnete „Aufhübschung“ verstanden, ist sie den Anderen ein oftmals unverständliches Ärgernis: im besten Fall hingegen befasst sich Kunst im öffentlichen Raum jedoch mit eben diesem Raum selbst; so auch im Fall der zitierten Arbeit von Stih & Schnock; Barbara Straka schrieb dazu 1993: „Es scheint, dass auch die Berliner das Geschehen nur fragmentarisch in ihr Bewusstsein aufnahmen […] Da die Behörden ihre Anordnungen bald nur noch im Jüdischen Nachrichtenblatt mitteilten, wurde das Augenschließen erleichtert. Niemand kümmerte sich darum, dass der Judenbann jetzt auf alle Parks und Grünflächen ausgedehnt wurde, so dass Kinder nur noch zwischen den Grabsteinen des Gemeindefriedhofs spielen konnten […] Diese Demütigungen wurden von dem schrittweisen Ausschluss von bestimmten Lebensmittelzuteilungen und einem offenen Raub des Vermögens begleitet. Die materiellen Vorteile trugen nicht unerheblich dazu bei, das Gewissen der Berliner weiter einzuschläfern.
Die auf den Tafeln zitierten Regeln waren keine zweckfreie Schikane der Nazi-Schergen, sondern integraler Bestandteil ihres Vernichtungsplans. Schliesslich ging es darum, die jüdischen Mitbürger durch die zitierten Verbote allmählich, aber nachhaltig aus dem öffentlichen Leben und Raum zu entfernen und so ihre Deportation und Ermordung zu ermöglichen, ohne die „Volksseele“ allzu sehr zu erregen. Durch die Schilder-Installation wird der öffentliche Raum, aus dem die Nazis die Juden allmählich vertrieben, als empfindlicher Bereich deutlich, an dem sich die Verfassung einer Gesellschaft ganz unmittelbar ablesen lässt.
Die Installation Insel Zeiten / Island Times in der Nelson-Mandela-Schule in Berlin-Wilmersdorf besteht aus 3 Teilen, die formal und inhaltlich miteinander verbunden sind. Sie befinden sich an der Fassade, im Eingangsraum, von wo aus man in die Klassen und in den Schulhof gelangt, und auf dem Schulhof selbst, der von den Schulgebäuden umschlossen ist.

An der Fassade zeigt ein Billboard den Namensgeber Nelson Mandela in verschiedenen Situationen seines Lebens; zusammen mit der darunter liegenden Schrift in Deutsch und Englisch sowie der farbigen Gestaltung der Türen entsteht eine Inszenierung, die Inhalt und Funktion der Schule nach außen vermitteln soll.
 
Im Eingangsbereich steht eine Reihe von 24 Uhren, die nach den 24 Zeitzonen aufeinander folgend gestellt sind, für den Zusammenhang von Integration und globaler Interaktion an der Schule. Die 24 Zeitzonen sind nicht wie üblich mit den Namen bekannter Städte wie Paris, Moskau, New York versehen, sondern mit den Namen und Umrissen von Inseln, die sich in der jeweiligen Zeitzone befinden. Die Inseln sind teils bekannt, oft jedoch unbekannt. Dieses Element der Verfremdung wird noch dadurch verstärkt, dass neben den Namen noch Tafeln mit den Umrissen der Inseln angebracht sind. Die Umrisse jedoch sind maßstäblich alle auf die gleiche Größe gebracht .Die Schülerinnen und Schüler, die aus verschiedenen Ländern der Welt stammen, können sich so mit einem Element der Installation identifizieren und verstehen sich als Teil des Weltganzen.
 
Dass das Kunstwerk Teil des schulischen Alltags werden, von seinen Betrachtern „angenommen“ werden soll zeigt die Forderung der Künstler: „Dass die Uhren richtig gehen, ist Aufgabe der Lehrer wie der Schüler, die anhand dieser dynamischen Zeit- Weltkarte gemeinsam auf Forschungsreise gehen können.“

An zwei der Schulhoflinden werden zwei „Bauminseln“ angelagert, die nach den berühmtesten mythischen Inseln Kythera und Utopia benannt sind. Mit ihren organischen Formen setzen die farbigen Skulpturen einen markanten Akzent. Inhaltlich lehnen sie sich an die Tradition der Lindenbänke an und sind damit als ein Ort des Zusammentreffens, Austauschens und Entwickelns eigener Weltvorstellungen gedacht.

Die gesamte Installation stellt somit nicht nur eine Verbindung zwischen der Bedeutung des Namensgebers und der multikulturellen Ausrichtung der Schule her. Denn Nelson Mandelas Leben und Wirken ist Sinnbild für Toleranz und Weltoffenheit, die Überwindung der Apartheid, den Kampf für Menschenrechte und für Demokratie.

Daneben steht die Verbindung zwischen halb-öffentlichem und öffentlichem Raum für die Vernetztheit in einer globalen Welt: Laut Aussage der Künstler soll Kunst hier „den kulturellen Austausch zwischen den Schülern fördern, sie animieren über Bezüge von Orten und Zeiten nachzudenken, zum Erforschen von topographischen Gegebenheiten und atmosphärischen Phänomenen animieren und dazu anregen, sich ihre eigenen Utopien zu denken.“ Damit stellt Insel Zeiten / Island Times eine schlüssige Fortführung der früheren Projekte von Stih & Schnock dar.

Dr. Heinz Stahlhut 2011


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